„Aus diesem Haus kamen die Bundeskanzler“

Foto: Henning Voscherau, Klaus Wiegrefe, Bernhard Vogel (v.l.) im Bonner Plenarsaal des Bundesrates

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Im alten Plenarsaal des Bundesrates in Bonn sprachen die ehemaligen Bundesratspräsidenten Bernhard Vogel und Henning Voscherau über die Rolle des Bundesrates gestern und heute. Sie gaben Einblicke in ihr politisches Leben und kritische Ausblicke in die Zukunft des Föderalismus in Deutschland.

Sichtlich heimisch fühlten sich die ehemaligen Bundesratspräsidenten, als sie am 11. November 2008 nach langer Zeit wieder im Bonner Plenarsaal des Bundesrates Platz nahmen. Anlass war diesmal keine Bundesratssitzung - diese finden seit September 2000 in Berlin statt -, sondern eine Gesprächsrunde, zu der das Bonner Haus der Geschichte zusammen mit der Volkshochschule Bonn geladen hatte. Moderiert wurde das Gespräch von Spiegel-Autor Klaus Wiegrefe.

Der Wille zur Einigung

Ihm sei nicht wohl in seiner Haut gewesen, als er 1988 zum ersten Mal nach seiner Wahl zum Ersten Bürgermeister Hamburgs an einer Sitzung des Bundesrates teilnahm, gab Henning Voscherau zu. Er war zuvor über viele Jahre freiberuflicher Jurist und befand sich nun im Kreis von Bundesratsmitgliedern, die größten Teils schon viele Jahre Regierungsverantwortung trugen. Skepsis und Vorurteile legten sich jedoch schnell und Voscherau erkannte, dass es sich bei seinen neuen Kollegen um "verträgliche" und auch "liebenswürdige" Menschen handelte.
In der Zusammenarbeit mit ihnen habe die Suche nach einer sachlichen Lösung meist im Vordergrund gestanden. Dies sei nur in den Fällen anders gewesen, in denen die Parteizentralen die Verhandlungsrichtung vorgaben.

Foto: Henning Voscherau im Bonner Plenarsaal des Bundesrates

Gesprächsrunde "Bundesrat - Die andere Gewaltenteilung"

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Bernhard Vogel. Sachlichkeit und der Wille zur Einigung hätten die Arbeit des Bundesrates geprägt. Wer polemische Wortgefechte und hitzige Debatten suche, sei im Bundesrat falsch. Schon das gediegene Ambiente des alten Sitzungssaals lasse erkennen, welcher Ton die Sitzungen des Bundesrates bestimmte. Sogar Applaus nach Redebeiträgen war nicht erwünscht. Daran habe sich bis heute nichts Grundlegendes geändert.

Dass damit allerdings die Aussage von Klaus Schütz, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, bestätigt ist, wonach der „Bundesrat ... das Langweiligste gewesen [ist], was man hat erfinden können“, wiesen Vogel und Voscherau zurück. Vielleicht, so spekulierten beide, lag es an dem Status Berlins, das bis zur Wiedervereinigung zwar im Bundesrat vertreten war, jedoch über kein Abstimmungsrecht verfügte.

Auf die Frage, ob es denn für ihn im Bundesrat auch „natürliche Verbündete“ gegeben hätte, antwortete Vogel überraschend „Ja, Hans Koschnick“. Der ehemalige Bremer Bürgermeister (SPD) habe die Vorhaben des Landes Rheinland-Pfalz bereitwillig unterstützt – zumindest wenn es um Themen wie Etikettierungsvorschriften von Riesling und Weinanbauverordnungen ging. Im Gegenzug konnte sich Bremen auf die Stimmen von Rheinland-Pfalz bei Angelegenheiten des Schiff- und Hafenbaus verlassen, erklärte Vogel lächelnd.

Zusammenarbeit über den Bundesrat hinaus

Eine Ursache für das kollegiale Verhältnis der Bundesratsmitglieder sieht Vogel in den vielfältigen Formen der Zusammenarbeit. So würden sich die Landesregierungen nicht nur im Bundesrat begegnen, sondern auch in den Fachministerkonferenzen und anderen Ländergremien. Weiterhin seien seinerzeit die Ministerpräsidenten eng in die Führungsspitzen der Parteien eingebunden gewesen, was die Verbundenheit ebenfalls gestärkt habe. Hinzu käme die einzigartige Zusammensetzung des Bundesrates. Anders als bei einer Senatslösung wirken hier Mitglieder der Landesregierungen an der Gesetzgebung des Bundes mit. Landespolitiker tragen damit Verantwortung für die Geschicke ihres Landes einerseits und des Bundes andererseits. Schließlich, so resümierte Vogel, sei der Bundesrat auch das Haus gewesen, aus dem die Bundeskanzler kamen. So gehörten Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder vor ihrem Amtsantritt als Bundeskanzler über mehrere Jahre dem Bundesrat an.

Veränderungen nach der Wiedervereinigung

Welche Auswirkungen denn die Wiedervereinigung auf die Arbeit des Bundesrates hatte, fragte Klaus Wiegrefe Bernhard Vogel, der sowohl Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz als auch in Thüringen war. „Die größere Zahl veränderte das Klima“ antwortete Vogel. Ihm seien vor der Wiedervereinigung die meisten Landesminister noch persönlich bekannt gewesen – ein Umstand, der mit der Erweitung des Bundesrates um fünf Landesregierungen der neuen Länder kaum zu halten war.

Foto: Klaus Wiegrefe, Bernhard Vogel (v.l.) im Bonner Plenarsaal des Bundesrates

Gesprächsrunde "Bundesrat - Die andere Gewaltenteilung"

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Auch der Zuwachs der Zuständigkeiten des Bundesrates hätte Veränderungen bewirkt, so Vogel. Neben dem stetigen Anwachsen zustimmungsbedürftiger Gesetze erhielt der Bundesrat 1992 weitere Mitbestimmungskompetenzen bei Angelegenheiten der Europäischen Union.

Interpretiert man die Aussagen Vogels, so scheint der Charakter des Bundesrates mit der Wiedervereinigung und dem Umzug nach Berlin ein anderer zu sein. Die „Bescheidenheit des Provisoriums“ (Vogel) der Bonner Zeit herrscht nicht mehr vor. Als besonderer Beweis dafür kann die kontroverse Bundesratsdebatte um das Zuwanderungsgesetz im März 2002 gelten, die nach Ansicht Vogels im Bonner Plenarsaal wohl anders verlaufen wäre.

Reformen angemahnt

Zum Abschluss widmete sich die Gesprächsrunde dem Blick in die Zukunft. Wo steht der deutsche Föderalismus in fünfzehn Jahren? Deutschland bleibt ein föderaler Staat, darin waren sich Vogel und Voscherau einig. Schließlich lege schon allein das Grundgesetz dies unumstößlich fest. In welcher Verfassung er dann jedoch sei, hänge entscheidend von seiner Reformfähigkeit ab.

Um diese stehe es nicht zum Besten. Zwar sei mit den Beschlüssen der Föderalismuskommission I der richtige Weg beschritten worden, jedoch sei derzeit fraglich, ob dieser konsequent fortgesetzt werden kann.

Eine weitere Entflechtung bei der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sei dringend geboten, darin waren sich Vogel und Voscherau einig - insbesondere im Bereich der Finanzen. Die damit befasste Föderalismuskommission II müsse in Kürze konkrete Beschlüsse fassen. Gerade jetzt, unter einer großen Koalition im Bund, böte sich für Reformen die beste Gelegenheit. Mit derartig günstigen politischen Mehrheitsverhältnissen könne in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht mehr gerechnet werden, warnte Voscherau. Man müsse man davon ausgehen, dass die Machtverhältnisse in Zukunft weitaus heterogener sein, als dies derzeit der Fall ist.

Einfache Mehrheit bei Abstimmungen

Wie sich heute schon andeute, könnten neue Parteien und komplizierte Regierungskonstellationen in den Ländern auch die Bundesgesetzgebung nachhaltig beeinflussen. So würde es immer schwerer, länderübergreifende politische Mehrheiten organisieren. Als Konsequenz könnte der Bundesrat zu einem Dauerblockadeinstrument in der Bundesgesetzgebung werden.

Foto: Publikum im Bonner Plenarsaal des Bundesrates

Gesprächsrunde "Bundesrat - Die andere Gewaltenteilung"

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Voscherau schlägt daher eine Änderung des Abstimmungsmodus im Bundesrat vor. Künftig solle die einfache Mehrheit der Stimmen ausreichen, um Gesetze zu beschließen. Eine Zustimmung des Bundesrates käme dann bereits zustande, wenn mehr Ja- als Nein-Stimmen und Enthaltungen vorliegen. Derzeit bedarf es für eine Zustimmung im Bundesrat einer Mehrheit von mindestens 35 Stimmen. Das ist die Hälfte aller 69 Stimmen. Dies hat zur Folge, dass bei Abstimmungen allein die Ja-Stimmen ausgezählt werden und Enthaltungen letztlich wie Nein-Stimmen wirken.

Auch zukünftig 16 Länder?

Auch die Zusammensetzung des Bundesrates beziehungsweise die Vielzahl der deutschen Länder ist nach Ansicht von Bernhard Vogel zu überdenken. Er warf die Frage auf, ob es auch zukünftig noch 16 Länder geben muss. Wenn es zu einer Neugliederung durch den Zusammenschluss von Ländern kommt, solle jedoch nicht die Größe, sondern die Leistungsfähigkeit der neuen Einheiten das entscheidende Kriterium sein.


Prof. Dr. Bernhard Vogel (CDU),
geboren am 19.12.1932, war von 1967 bis 1976 Kultusminister in Rheinland-Pfalz und anschließend von 1976 bis 1988 Ministerpräsident des Landes. In diesem Zeitraum stand er den Geschäftsjahren 1976/77 und 1987/1988 dem Bundesrat als Präsident vor. Von 1992 bis 2003 war Bernhard Vogel Ministerpräsident des Freistaats Thüringen.

Dr. Henning Voscherau (SPD),
geboren am 13.08.1941, war von 1988 bis 1997 Präsident des Senats und Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und stand in dieser Zeit im Geschäftsjahr 1990/1991 dem Bundesrat als Präsident vor.

Stand 25.11.2008

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